Hof Tolle

Einleitung

Der im Norden von Hessen liegende Hof Tolle verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, um den Betrieb klimaresilient zu gestalten und möglichst klimaschonend zu agieren. Die eigene, auf den Betrieb zugeschnittene Klimastrategie sieht Ziele und Maßnahmen in den Handlungsbereichen des Hofs vor. Dazu gehören beispielsweise nachhaltiger Ackerbau oder extensive Rinderhaltung. Die verschiedenen Ansätze sind ausgesprochen vielseitig und bieten sicher für viele landwirtschaftliche Betriebe inspirierende Aspekte. 

Verwandte Module:
Name des Landwirts/Unternehmers oder der sonstigen Initiative
Hof Tolle
Jahr der Gründung der Initiative
Der Hof besteht seit 1846 und in seiner jetzigen Form seit 1998. Seit einigen Jahren wird er von der nächsten Generation gemeinschaftlich betrieben.
Standort
Calden-Fürstenwald (NUTS-3: DE734)

Beschreibung des Beispiels

Gesamtfläche

60ha (45ha Ackerbau, 15ha Grünland); Mutterkuhherde mit 10 GV

Landwirtschaftliche Haupttätigkeit und multifunktionale Aktivitäten

Die Betriebszweige reichen von Ackerbau, über extensive Rinderhaltung und biointensiven Gemüseanbau nach dem Market Gardening Prinzip bis zur Pferdehaltung. Zusätzliche Einnahmen im kleineren Umfang werden erzielt durch Hofführungen, pädagogische Angebote (Bauernhof als Klassenzimmer) sowie die Teilnahme an Demonstrations- und Forschungsprojekten.

In „normalen“ Jahren ist der größte Anteil am Umsatz der Ackerbau (ca. 40-50%), jedoch ist das Ziel, dass sich die verschiedenen Betriebszweige wirtschaftlich ausgleichen können, sodass beispielsweise Gemüsebau und Viehhaltung schlechte Jahre im Ackerbau abfedern können.

Kritische Herausforderungen für den Betrieb/die Region

Eine große Herausforderung ist die Unsicherheit in der Betriebsentwicklung. Dies resultiert zum einen aus den langfristigen klimatischen Veränderungen, aber auch aus der zunehmenden Variabilität zwischen den Jahren. Zusätzlich (und in Verbindung mit dem Klimawandel) sind Märkte und Politik große Unsicherheitsfaktoren. Größere, längerfristige Investitionen werden so aus Sicht des Betriebes riskanter.

Trockenheit wird für den Betrieb eine zentrale Herausforderung sein. Da der Hof auf der Lee-Seite des Dörnbergs liegt, ergibt sich die mikroklimatische Besonderheit, dass es in Dürrephasen (z.B. 2018-2022) dazu kommen kann, dass die sowieso schon knappen Regenfälle ausbleiben und in den Nachbarorten abregnen.

CSA-Aktivität

Grund für die Teilnahme an der CSA/ Auslösendes Moment für die Umsetzung

Intensive Beschäftigung mit dem Klimawandel und seinen Implikationen für die Landwirtschaft während des Studiums und praktische Erfahrung in dem Bereich des Anpassungsmanagements

Beschreibung der Innovation

Die zentrale Innovation des Betriebs ist eine Klimastrategie, die systematisch Handlungsbereiche und Maßnahmen definiert, um den Treibhausgasausstoß zu senken und den Betrieb resilienter gegenüber den Folgen des Klimawandels aufzustellen.

Der Ansatz der klimasmarten Landwirtschaft orientiert sich an den Ansätzen des (Klima-) Anpassungsmanagement im Allgemeinen und des „Decisionmaking Under Deep Uncertainty“ im Speziellen. Der Fokus liegt hierbei nicht auf den Herausforderungen der einzelnen, potenziellen klimatischen Veränderungen und Auswirkungen (z.B. Dürre, Starkregen, Verschiebung phänologischer Phasen, etc.), sondern bei der Frage, wie man mit Unsicherheit und dem Risiko von Fehlanpassung auf der Betriebsebene umgehen kann. Ziel ist es auch, ganz konkrete Anpassungsmaßnahmen umzusetzen, jedoch soll dies in einer geplanten und strategischen Weise geschehen.

Der Ansatz entstand aus der intensiven Beschäftigung mit dem Thema Klimawandelanpassung heraus – v.a. abseits der Landwirtschaft. Hier fand man Methoden, die eine strategische und dynamische Betriebsentwicklung unterstützen – trotz Unsicherheit. In der Landwirtschaft bestand und besteht ein Maßnahmenfokus, der eher reaktiv ist (Beispiel: „Ich habe als Landwirt dieses Jahr Trockenheit erlebt, ich muss trockentolerante Kulturen anpflanzen“). Dies ist aber gefährlich, da wir bei den klimatischen Extremen des einen Jahres nicht auf das kommende Jahr schließen können – der Unterschied zwischen 2022 und 2023/2024 ist ein gutes Beispiel. 

Die Klimastrategie ist ein Produkt eines einzelbetrieblichen Anpassungsprozesses. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass eine Klimastrategie kein fester Plan ist, sondern eher eine dynamische und flexible Sammlung an Handlungsmöglichkeiten („Adaptation Pathways“), wie sich ein landwirtschaftlicher Betrieb entwickeln kann. Je nachdem, wie sich das Klima und der Betrieb im Laufe der Zeit verändert. Das besondere an so einer Strategie ist es, dass sie uns ermöglicht, mit vielen verschiedenen Klimawandelfolgen umzugehen, Synergien zwischen Maßnahmen zu fördern (und Zielkonflikte zu minimieren) sowie das Risiko von Pfadabhängigkeiten und Fehlanpassung im Allgemeinen zu reduzieren.

Der Hof wird heute nicht mehr im klassischen Sinne als Familienbetrieb geführt. Die grundlegende Idee ist dabei, die Arbeit auf mehrere Personen zu verteilen. Dies soll zum einen mehr Freiräume zum Experimentieren ermöglichen, ist aber v.a. auch eine Maßnahme des Risikomanagements, um Arbeitsspitzen und potenziell defizitäre Jahre besser abfangen zu können.

Umsetzungsprozess der Innovation & angewandte Methoden des Innovationsmanagements

Die Umsetzung ist kleinschrittig, aber divers. Viele Maßnahmen werden gleichzeitig ausgetestet und deren Erfolg sowie wirtschaftliche Umsetzbarkeit dabei überprüft, ohne direkt große Investitionen (und damit Risiken) einzugehen. Der Lernprozess sowie Monitoring und Evaluation sind ganz zentrale Elemente der Umsetzung sowie des Anpassungsmanagements im Allgemeinen.

Heutige Ergebnisse dieser Implementierung

Ein konkretes Ergebnis ist, dass alle betrieblichen Entscheidungen vor dem Hintergrund des Klimawandels bewertet und diskutiert werden. Dazu kommt ein jährliches Treffen, bei dem die Klimastrategie sowie die Fortschritte des Betriebs in Bezug auf die Anpassung mit dem gesamten Team besprochen werden.

Konkrete Maßnahmen, die umgesetzt wurden: Anbau trockentoleranter Kulturen (Kichererbsen, Sudangras), Mob Grazing, Agroforst, biointensiver Gemüseanbau im Sinne des Market Gardenings (inkl. Bewässerung), Eigenstromnutzung (PV-Anlage)

SWOT des Beispiels heute

Vorteile

Vorbereitet sein auf mögliche zukünftige politische Forderungen zu THG-Emissionen; Vorbild-Charakter des Betriebs; Verbesserung bestimmter agronomischer Faktoren (z.B. Förderung des Ackerbaus durch Humusaufbau)

Nachteile

Höhere Arbeitsbelastung ohne direkte wirtschaftliche Vorteile; Problem bei möglichen Kompensationsmechanismen – Beispiel: durch hohe Ausgangsgehalte bei den Humuswerten ist ein weiterer Humusaufbau wesentlich langsamer. Somit ergibt sich z.B. bei dem Verkauf von CO2-Zertifikaten ein Nachteil (Prinzip der Zusätzlichkeit).

Ausbildung/ Schulung der Betriebsleitung

Nils Tolle hat ein Studium mit Fokus auf Landwirtschaft und Klimawandel absolviert. Bei seinen Kollegen liegen überwiegend handwerkliche Berufsausbildungen vor. Das Wissen über den Klimawandel, mögliche Folgen sowie Anpassungsmaßnahmen erarbeiten sie sich aus Internet- sowie Literaturrecherchen und zahlreichen Seminaren sowie Webinaren zu verschiedenen Klimawandelfolgen. Dazu kommt der direkte Austausch mit Kolleg*innen und Expert*innen. Zudem wurde an einer Fortbildung im Rahmen des EU-Projekts ClimateFarming teilgenommen. 

Ausblick/ Ziele

Ziel ist es, mithilfe der Einkommensdiversifizierungen und Klimaanpassungen den landwirtschaftlichen Betrieb langfristig resilient und nachhaltig zu betreiben. Der Klimastrategie liegt ein eher pessimistisches Szenario zu Grunde (RCP 8.5), weswegen in der Zukunft ein stärkerer Fokus auf witterungsunabhängigen Einkommensquellen liegt (z.B. APV, Hofgastronomie). Diese sollen es ermöglichen, mit perspektivisch extremeren Umweltbedingungen umzugehen bzw. Einkommensausfälle in der landwirtschaftlichen Primärproduktion auszugleichen.

Gelernte Lektionen/Empfehlungen

Eine wichtige Erkenntnis ist es, dass Flexibilität und Risikomanagement in Betriebsführung und -entwicklung eine wesentlich wichtigere Rolle spielen als in der Vergangenheit. Das Ziel der (kurzfristigen) Gewinnmaximierung durch traditionelle Ansätze wie Spezialisierung wird aufgrund der zunehmend unsichereren Produktionsbedingungen immer risikoreicher. Interessierte Betriebe können z.B. mit den Unterlagen des ClimateFarming Projekts grundlegende Einblicke in das betriebliche Anpassungsmanagement bekommen. Diese sollen noch im Jahr 2024 veröffentlicht werden. Ansonsten empfiehlt Herr Tolle mit kleinen, wenig risikoreichen Veränderungsprozessen zu starten.

Ergebnis, Erfolg und Risikofaktoren

Wie sieht die heutige Situation aus?

Durch die diversifizierte Ausrichtung des Betriebs ist eine gewisse Resilienz gegeben. Manche Anpassungsmaßnahmen kamen in der Dürreperiode 2018-2022 aber auch schon an ihre Grenzen (z.B. Kichererbsenanbau, Mob Grazing). Ansonsten ist zu sagen, dass einige Anpassungsmaßnahmen in klimatisch gewöhnlichen Jahren auch zu geringeren Erträgen bzw. Umsätzen führen, wenn sie auf Extreme ausgerichtet sind. Ein Beispiel war der Sudangras-Anbauversuch 2023 – durch niedrige Temperaturen und relativ hohe Niederschläge kam es bei dieser Anpassungsmaßnahme zu einem Totalausfall auf der Fläche. Ziel bei allen Maßnahmen ist es, die Schwankungsbreiten bei Extremen für den Betrieb als Ganzes zu reduzieren und Einnahmeausfälle durch Wetterextreme zu reduzieren. Die Zukunft wird zeigen, ob die ergriffenen Maßnahmen mittelfristig erfolgreich sind.

Abhängigkeit von jeglicher Art von laufender Unterstützung/Subvention?

Die Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen sind nicht von Förderung oder Subventionen abhängig. Die konkreten Kosten und Opportunitätskosten für die Versuche und Experimente werden vom Betrieb bzw. den Beteiligten getragen. Hilfreich sind hier neben der Eigenleistung auch andere externe Einnahmen und Projektmittel. Subventionen für die regulären landwirtschaftlichen Aktivitäten stellen jedoch (wie es der Normalfall ist) einen relevanten Einkommensanteil des Betriebs dar.

Abhängigkeit von spezifischen regionalen/ persönlichen Aspekten?

Ein wichtiger Faktor für die hofeigene Klimastrategie ist die Nähe zu einer kaufkräftigen, urbanen Käuferschaft (Kassel), da viele Entwicklungen und Anpassungsoptionen (z.B. der Gemüseanbau) von der Direktvermarktung abhängig sind. Ansonsten ist bei allen Betriebsangehörigen eine gewisse Experimentierfreude gegeben, die es erlaubt, neue Betriebszweige aufzubauen und – falls nötig – alte Betriebszweige zu verändern oder aufzugeben. Zum Beispiel ist es für alle in Ordnung, auf dem Hof auch Geld außerhalb der landwirtschaftlichen Primärproduktion zu verdienen (z.B. pädagogische Angebote, Energieproduktion, Forschung etc.)

Anwendbarkeit in anderen Regionen/anderen Situationen.

Das Konzept an sich ist nicht ohne Weiteres auf andere Betriebe übertragbar. Nichtsdestotrotz kann von der Experimentierfreude und dem systemischen Ansatz des Hof Tolle gelernt werden. Die Methoden und Herangehensweisen des Anpassungsmanagements sind universell einsetzbar und damit übertragbar. Voraussetzung ist dabei ein fundiertes Wissen über den Klimawandel und seine Herausforderungen, das auf den meisten Betrieben nicht vorhanden ist. Hier ist die Beratung sowie die Umgestaltung der landwirtschaftlichen Ausbildung (und Studium) gefragt.